die Titelseite
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Karte
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"Bevölkerungsproben"
"Bevölkerungsproben"

ein Lappe mit seinem Katze
ein Lappe mit seinem
Hausdämon (eine Katze)


Samojeden
Samojeden

Walrossjagd
Walrossjagd bei
Nowaja Semlja


die Fahrt mit dem Rentierschlitten
die Fahrt mit dem
Rentierschlitten
in Lappland
Die Seereise la Martinières von 1670
Bei Berichten aus dem 18. Jahrhundert kann es reizvoll sein darauf zu achten, wie Reisende aus den führenden Staaten Europas ihr Erleben von Land, Leuten und Natur im Norden beschrieben. Im 16. und 17. Jahrhundert galten die Bewohner des Nordens als barbarische, unzivilisierte Völkerstämme. Das Land war in dämonisches Dunkel verhüllt und von Wilden bevölkert, während die Natur furchteinflößend und gefährlich war. Der junge Franzose Pierre Martin de la Martinière (1634-1690) war ausgehend von früheren Chroniken geistig auf das vorbereitet was ihn erwarten würde, als er 1670 in Richtung Norden reiste. Die Aufzeichnungen, die der Franzose zu Papier brachte, nachdem er fünf Monate lang weite Teile der nördlichen Gebiete durchkreuzt hatte, kann als die fantasievollste Darstellung dieser Zeit gelten. Ob la Martinière alles was in diesem sehr populären Buch über seine Reise in den Norden zu lesen steht wirklich erlebt hat, kann mit einem großen Fragezeichen versehen werden.

1671 gab Pierre Martin de la Martinière seinen Reisebericht Voyage des pais septentrionaux in Paris heraus. Das Buch erweckte großes Aufsehen und erschien übersetzt in verschiedenen Ausgaben auf Holländisch, Englisch und Deutsch. Der Mann war 36 Jahre alt, als er Anfang Mai 1670 in Kopenhagen auf einer aus drei Schiffen bestehenden Handelsflotte als Schiffsarzt anheuerte. Die Segler gehörten zur Nordischen Handelskompanie, ausgerüstet von König Fredrik III. Sie hatten den Auftrag, in Richtung Norden zu fahren, um auszukundschaften, welche Art Handel Dänemark mit der Urbevölkerung im äußersten Norden treiben könnte. Als Tauschwaren hatte man große Mengen Tabak und Alkoholika geladen, was sich als höchst willkommen erweisen sollte. Laut Weisung sollte man nach der Rückkehr Bericht über die Länder und Handelsmöglichkeiten erstatten. Der König hatte auch das Mitführen einiger lebender "Proben" aus der Bevölkerung angeordnet. Als das Gefolge Ende September 1670 nach Kopenhagen zurückkehrte, hatte man vier Semljaianer an Bord. Am Schluss des Berichts heißt es, die "Bevölkerungsproben" aus dem Norden würden vom König selbst und seinem Hof mit großer Neugier bestaunt. Die vier, die man aus Nowaja Semlja verschleppt hatte, zwei Männer und zwei Frauen, können zum Volk der Nenetzen gehört haben, die damals die Inselgruppe bevölkerten.

Schon auf den ersten Seiten seiner Dastellung stellt de la Martinière fest: "Wir wussten gut, dass fast alle die nördlich des Polarkreises wohnten Magier waren.". Wenig später erzählt er seinen Lesern von den Samen in Varanger, wo jede Familie eine große schwarze Katze hielt, die sie ehrte und achtete: "Obgleich dieses Tier das Antlitz einer Katze hat, denke ich doch, aufgrund seines fürchterlichen Blickes, dass es sich um einen Hausdämon handelt." Die Samen in Varanger werden als Totenbeschwörer und die russischen Samojeden in Nordsibirien als Kannibalen beschrieben, während die Bevölkerung von Nowaja Semlja in großem Umfang Götzenverehrung betriebe: "Zuweilen ergreift der Teufel Besitz von ihrem Götzen und verkündet aus ihm seine infernalischen Orakel." Mit Branntwein und Tabak bezahlten die Reisenden für eine Fahrt mit dem Rentierschlitten, die sie "über ganz Lappland, auf schwedischem, dänischem wie auch moskowitischem Gebiet" führte. Die Rentiere hatten eine so hohe Geschwindigkeit, "... dass wir meinten von Teufeln fortgetragen zu werden." Vom Aufenthalt auf Nowaja Semlja berichtet de la Martinière recht ausfürlich über Walrossjagd, Skorbut, Götzenverehrung und den Schwierigkeiten, die man dabei hatte, einige Exemplare der Inselbewohner einzufangen. Der Franzose hatte Zeichnungen von einem Mann und einer Frau angefertigt, die man in die Zivilisation mitführte, um sie als exotische Geschöpfe aus der nordischen Wildnis vorzuführen. Mitte August 1670 ging die Fahrt weiter nach Grönland und anschließend nach Island. Über die Isländer erfahren wir, sie seien hässlich, schmutzig, grausam und brutal. Die meisten seien Zauberer und Hexen. Die Beschreibung des aktiven Vulkans Hekla nimmt mehrere Seiten am Ende des Buches ein; hier lässt der Schiffsarzt seiner Fantasie freien Lauf. "Wer am Fuß des Hecla fischt, kann die vielen Dämonen beobachten, die an der Vulkanöffnung ein- und ausschlüpfen. Die Teufel sind eifrig damit beschäftigt, Seelen aus ganz Europa zu holen," heißt es. Die Erzählung wird gewürzt mit Hinweisen auf angstvolle Schreie, die aus dem Hekla zu hören seien. Der Teufel röste die Seelen der Menschen in den Flammen des Vulkans und kühle sie anschließend wieder im eisigen Meerwasser, erklärt Martinière.

Die große Popularität der Reisebeschreibung des Schiffarztes ist darauf zurückzuführen, dass er nicht nur seinen persönlichen Erlebnissen schriftlichen Ausdruck verlieh, sondern eine bildliche Darstellung u. a. von Götzen und von Dämonen in Katzengestalt lieferte. Im Buch sind 20 Illustrationen enthalten. Dass es eine große Durchschlagkraft hatte und zu langlebigen Mythen führte, zeigt sich in den zahlreichen Versuchen, nicht zuletzt von skandinavischer Seite, la Martinière entgegenzutreten. Der Lapplandmissionar Knud Leem, der sein monumentales Werk Nachrichten von den Lappen in Finmarken 1667 herausgab, verfolgte ausdrücklich das Ziel, die vielen Irrlehren aus Voyage des pais septentrionaux zu korrigieren. Das Buch bestehe aus Fabeln und Lügenmärchen, schreibt Leem. Als der Uppsalaenser Professor Johannes Schefferus 1673 mit seinem berühmten Werk Lapponia herauskam, bildete die Reiseschilderung des Franzosen eine wichtige Quelle. Häufig, jedoch mit kritischer Vorsicht verweist der schwedische Wissenschaftler auf seinen Vorgänger. Schefferus schreibt, das Buch bestehe aus wenig glaubwürdigen Beschreibungen, und la Martinière schmücke die Wahrheit mit Fantasie aus, um bei seinen Lesern Neugier und Verwunderung zu erwecken. Der Schwede weist darauf hin, dass der Franzose systematisch Rentiere mit Elchen und Eichhörnchen mit Hermelinen verwechsle, und dass seine Schilderung der Samen durchweg unzuverlässig sei.

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Die Nordlichtroute gehört zu den Kulturpfaden des Europarats. Diese Kulturpfade sind als Einladung an Europäer zu verstehen, ihre gemeinsame Identität zu erwandern und die Orte aufzusuchen, an denen die europäische Einheit, aber auch ihre Vielfalt ihren Ursprung haben.
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